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Der Premierminister besucht dann ein Jobcenter in Nigeria


Olaf Scholz reist in stürmischen Zeiten nach Afrika. Er verbringt drei Tage in Nigeria und Ghana. Warum eigentlich?

Sonntagabend, die Maschine des Kanzlers landet in der nigerianischen Hauptstadt Abuja. Für einen Moment weiß der Pilot nicht, wohin er den Flieger lenken soll. Für den Gast aus Berlin muss erst noch der richtige Slot gesucht werden, bevor es weitergehen kann. Und so ist die Frage, worum es bei dem Trip von Olaf Scholz eigentlich geht, in gewisser Weise schon beantwortet, bevor er richtig angefangen hat: Deutschland und Afrika, so das symbolische Bild auf dem Rollfeld, müssen sich erst noch finden.

Drei Tage ist Scholz in Nigeria und Ghana unterwegs, es ist seine dritte Reise nach Afrika, seit er Kanzler ist. Und Scholz ist nicht allein. Der Bundespräsident ist zur selben Zeit in Tansania zu Besuch, die Innenministerin führt Gespräche in Marokko. Von Afrika scheint auf die Bundesregierung in diesen international so stürmischen Zeiten eine besondere Anziehungskraft auszugehen. Man fragt sich: Was ist da eigentlich los? Warum Afrika? Und warum ausgerechnet jetzt?

Ein Reisebericht über neue Freunde und auffällig viele Erfolgsgeschichten.

Worum es bei der Kanzler-Reise vordergründig geht

Ist recht schnell erzählt – um Wirtschaft, um Migration. Nigeria ist das bevölkerungsreichste Land Afrikas, reich an Rohstoffen wie Gas und Öl. Energieträger also, die Deutschland gut gebrauchen kann. Andersherum will Nigeria deutsche Firmen anziehen. "Wir sind bereit, Geschäfte zu machen", sagt Nigerias Präsident Bola Tinubu, als er den Kanzler empfängt. Es ist sein Signal nach Berlin: Ihr könnt gern noch ein klein bisschen mehr bei uns investieren.

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VIDEO: STAATSBESUCH IN NIGERIA: Kanzler Scholz spricht über Migration und Energie
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Scholz will auch ein Zeichen nach Hause senden: Ich tue etwas gegen die Probleme bei der Migration. 14.000 ausreisepflichtige Asylbewerber aus Nigeria gibt es in Deutschland, die Tinubu-Regierung zeigt bislang keine gesteigerte Bereitschaft, sie zurückzunehmen. Die Europäische Union feilt gerade an einem Rückführungsabkommen mit Nigeria, aber der Kanzler macht klar, dass er im Zweifel ein eigenes zwischen Berlin und Abuja schließen würde. Ich nehme die Sache mit der Migration jetzt ernst, so soll es wirken.

Worum es bei der Kanzler-Reise eigentlich geht

Das wird klar, als Scholz am Montagmittag mit einem Boot durchs Hafengebiet in Lagos fährt. Am Ufer kann der Kanzler eine neue S-Bahn-Strecke sehen – gebaut von den Chinesen. So häufig Regierungsmitglieder gerade nach Afrika reisen, so deutlich wird jedes Mal auch, dass Deutschland spät dran ist, um sich hier in Position zu bringen. Andere sind längst da, vor allem China und Russland, die in Teilen Afrikas seit Jahren ihr Einflussgebiet ausbauen.

Wenn man so will, sind Investitionen wie die S-Bahn-Strecke in Lagos Mahnmale des globalen Konkurrenzkampfs zwischen westlichen Demokratien und den Autokratien im Osten. Die gute Nachricht: Die Chinesen haben Jahre gebraucht, um die Trasse zu bauen. Korruption und rechtliche Auseinandersetzungen brachten das Projekt dem Vernehmen nach mehrfach an den Rand des Scheiterns.

Ein kleiner BER, made in China. Das gibt es offenbar auch.

Scholz‘ Besuch ist Teil einer längerfristigen Strategie, sich auf anderen Kontinenten neue Partner zu suchen, mindestens aber zu verhindern, dass sie ins Autokraten-Lager kippen. Der Kanzler spricht gerne vom "globalen Süden", den man stärker im Blick haben müsse. Es ist ein in außenpolitischen Kreisen mittlerweile populärer, wenn auch etwas bemüht wirkender Begriff, um Entwicklungs- und Schwellenländer von Asien bis Südamerika irgendwie über einen Kamm scheren zu können. Es gehe jetzt darum, schnell zu sein und nicht erst in 30 Jahren nach neuen Partnern Ausschau zu halten, wenn alles zu spät sei, so Scholz: "Wir müssen genau in diesem Augenblick so handeln."

Oder wie man gern im Kanzleramt sagt: "Mach Dir Freunde, bevor Du sie brauchst."

Das Besondere auf dieser Reise

Der Besuch des Kanzlers in einem deutsch-nigerianischen Migrationszentrum in Lagos. Das Wort "Fluchtursachenbekämpfung" hört man ja häufig, nur ist nicht immer klar, was man sich darunter eigentlich genau vorstellen darf – hier wird es mit Leben gefüllt. Ein Stück weit jedenfalls.

Es ist ein Projekt, das die Bundesagentur für Arbeit nicht schöner hätte entwerfen können. Mit deutscher Hilfe qualifiziert das nigerianische Arbeitsministerium hier Einheimische, bildet sie im Schnelldurchlauf aus: zu Friseuren, Schneiderinnen, Designern. Ein Jobcenter auf nigerianisch.

Es ist der Versuch, Menschen vor Ort eine so stabile Existenz zu schaffen, damit sie nicht mehr darüber nachdenken müssen, ihre Heimat zu verlassen. Was das Projekt gerade besonders interessant macht: Es gilt auch für Nigerianer, die schon einmal geflohen und zurückgekehrt sind. Rund 300.000 Personen sollen das Programm in fast neun Jahren bereits durchlaufen haben, darunter 20.000 "Rückkehrer" – ein Fünftel davon aus Deutschland.

Ein paar von ihnen sitzen am Montag mit dem Kanzler zusammen, berichten ihm von ihren Erfahrungen, von ihrem Leben, so erzählen sie es später. Es sind bewegende, emotionale Geschichten, die im Zentrum zu hören sind.

Da ist die Frau, die sich nach Deutschland durchschlug, dort erfolglos versuchte, Asyl zu bekommen, irgendwann zurückkehrte und jetzt mit Hilfe des Zentrums versucht, sich als Modedesignerin etwas aufzubauen. Man hört ihre Wut, wenn sie über das Erlebte erzählt, aber auch ihre Hoffnung. "Ich bin etabliert", sagt sie. "Ich bin jetzt cool mit allem."

Da ist die Frau, die ihre Tochter verließ, um sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen. Kein Geld, keine Freunde, keine Tochter. Sie lebt mittlerweile wieder in Lagos. "Mein Leben in Deutschland war schrecklich", sagt sie. Jetzt will sie Friseurin werden. 

Olaf Scholz schaut ernst. Er steht vor einer israelischen Fahne bei seinem Besuch in Tel Aviv

Und da ist der Mann, der die klassische Route nahm, nach Libyen floh, dort ein Boot nahm, in Lampedusa landete und irgendwann endlich in Deutschland. Weil er wie die meisten Nigerianer keine Chance auf Asyl hatte, kehrte er zurück. Er will sich nun ebenfalls zum Friseur ausbilden lassen.

Klar, was man nicht hört, sind die Geschichten der Gescheiterten, die Berichte über das Leid einer Abschiebung, über die realen Härten des Lebens in Nigeria. Was hier im Zentrum präsentiert wird, sind Erfolgsstorys. Belege dafür, wie gut so ein Eingliederungsprogramm funktionieren kann – und dass deutsche Entwicklungshilfe doch etwas bewegen kann.

Was Scholz gesagt habe, als sie ihm in kleiner Runde ihre Geschichten erzählten, werden die Anwesenden gefragt. "Er hat nichts gesagt", heißt es.

Später, am Rande eines anderen Termins, sagt der Kanzler dann doch noch was. Berührend seien manche Schilderungen im Migrationszentrum gewesen, betont er, aber auch ermutigend: "Man sieht, mit wie vielen kleinen Schritten es möglich ist, Perspektiven zu entwickeln."

Ein voller Erfolg also, die Reise. Aus Kanzlersicht, klar.

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Author: Christina Hopkins

Last Updated: 1703148962

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